Wenn ich an Konferenzen oder anderen Treffen mit HR-Kollegen teilnehme, treffe ich immer wieder auf eine Mischung aus Enttäuschung und Beleidigtsein, dass HR nicht ausreichend wertgeschätzt wird, obwohl die Mitarbeiter doch der wichtigste Erfolgsfaktor des Unternehmens sind. Engagement, Leadership und Employer Branding sind in aller Munde und gelten als die Bereiche, auf die Unternehmen und insbesondere das Top-Management besonders achten müssen. Gleichzeitig können weder wichtige Talente im Unternehmen gehalten noch die richtigen Talente gefunden werden, die dringend gebraucht werden, um die Herausforderung der Digitalisierung und all der anderen mächtigen Veränderungen meistern zu können. Irgendetwas passt hier also nicht zusammen. Die Verzweiflung der HR-Manager kulminiert in der Phrase vom „seat at the table“, den HR gern hätte, den die CEOs aber allzu oft nicht bereit sind, herzugeben. Vielmehr finden Artikel wie „Why we still hate HR“   breite Zustimmung. Zumindest hier kann ich die Enttäuschung verstehen, denn wer hängt sich schon gern in so richtig in seinen Job rein, wenn die Rückmeldung Verachtung ist.

Den besten Rat in dieser Angelegenheit habe ich noch von einem Chief People Officer eines großen Chemiekonzerns gehört, der der versammelten HR-Community im Auditorium mit auf den Weg gab: „Wenn Sie keine Einladung an den Tisch erhalten haben, stellen Sie sich einfach dazu und fragen, was es zu essen gibt“. Das kann man natürlich versuchen, aber die Erfolgsaussichten halte ich dann doch für überschaubar.

Wenn man es richtig angeht, schafft man es, dass der CEO von sich aus fragt, „Wo ist eigentlich HR“ und mit seiner Agenda nicht startet, bevor diese unternehmenskritische Funktion mit am berühmten Tisch sitzt. Um das zu erreichen, muss HR allerdings viel unternehmerischer denken als bisher. Mit diesen Schritten kommen Sie dahin:

  1. Starten Sie bei der Business-Strategie und überlegen Sie, was Sie als Unternehmen erreichen wollen und wie Sie erfolgreich im Wettbewerb bestehen wollen. Das ist gar keine klassische HR-Frage, aber es ist essentiell für jeden HR-Manager, genau diesen Punkt zu verstehen. Fragen Sie Ihren CEO, der eine überzeugende Antwort haben sollte. Falls nicht, stellen Sie ihm in diesem Moment genau die richtige Frage. Ein gutes Buch ist hier übrigens die „Blue Ocean Strategy“ von Chan Kim und Mauborgne.
    .
  2. Diskutieren Sie im Top-Management, welche strategischen Fähigkeiten (oder strategic capabilities) die Organisation braucht, um die strategischen Ziele aus Punkt 1 zu erreichen und die auch nicht ohne Weiteres durch Wettbewerber kopiert werden können. Wir sind hier noch nicht auf der Ebene, was Mitarbeiter können müssen sondern auf einem organisationalen Level. Bekannte Beispiele sind die herausragenden logistischen Fähigkeiten von Amazon („same day delivery“) oder Googles Fähigkeiten, große Datenmengen intelligent zu verknüpfen und darauf aufbauend individuell passende Werbung zu platzieren. Leider haben viele HR-Manager kein ausreichendes Verständnis, wie das Geschäftsmodell des eigenen Unternehmens eigentlich genau funktioniert – das brauchen sie aber.
    .
  3. Erst jetzt kommen wir zur Kernkompetenz von HR: leiten Sie ab, welches Talent Portfolio das Unternehmen braucht, um die strategischen Fähigkeiten aufzubauen und zu sichern. Die Frage hier ist, welche Jobs und Rollen zukünftig gebraucht werden und wer die „richtigen“ Mitarbeiter der Organisation sind.Das Beispiel Bosch zeigt übrigens ganz eindrucksvoll, welche Herausforderungen die Digitalisierung für viele Unternehmen mit sich bringt: während einerseits tausende Entwickler für das Internet of Things und autonomes Fahren gesucht werden, bangen andernorts langjährige Mitarbeiter der Dieselsparte um ihre Jobs. Die Antwort auf die Frage, wie mit den vielen Mitarbeitern umzugehen ist, die den Wandel nicht so einfach mitmachen können, steht noch aus. Das ist wiederum eine Chance für HR.Grundsätzlich entscheidend ist aber, die Investitionen in Talent wie ein Investment-Manager zu verstehen: alle Unternehmen haben begrenzte Ressourcen und müssen sich entscheiden, wie Zeit und Geld am gewinnbringendsten investiert werden können anstatt alle Rollen und Mitarbeiter gleich zu behandeln. Diese Denkweise ist allerdings vielen HR-Managern nicht nur fremd, sie lehnen sie sogar grundsätzlich ab – auch wenn sie überlebensnotwendig ist. Die beste Arbeit zu diesem Thema stammt meines Erachtens von Huselid mit „A-Players for A-Positions“.
    .
  4. Sind nun die Grundlagen klar, leitet man die erfolgskritischen Kompetenzen (Knowledge, Skills, Abilities und Attitudes) entsprechend der zuvor definierten Rollen-Prioritäten ab. Und das bitte nicht mit den immer noch üblichen bürokratischen Stellenprofilen mit 30+ Anforderungen, die einem aus dem Bauch heraus in den Sinn kommen sondern mittels Critical-Incident-Technique, so, dass HR mit erfahrenen Business-Managern darüber spricht, wie sich ihrer Erfahrung nach erfolgreiche Stelleninhaber von weniger erfolgreichen unterscheiden. Das hat neben der inhaltlichen Qualität den Vorteil, dass sich Manager nicht in die Welt von HR hineindenke müssen sondern in ihrer Funktion „zu Hause“ bleiben und dass man direkt die Verhaltensanker hat, die HR sonst oft so mühsam (und an der Realität vorbei) suchen muss.
    .
  5. Und schon können wir mit dem loslegen, was HR eigentlich richtig gut kann und was ich mal als Manage Talent überschreiben würde:
    • Die richtigen Mitarbeiter einstellen
    • Sobald sie an Bord sind, durch angemessenes On-Boarding und permanentes Training dafür sorgen, dass die neuen Mitarbeiter erfolgreich sein können (wobei HR hier „nur“ Koordinator und Enabler ist – das meiste Arbeit liegt bei den Führungskräften)
    • Talente systematisch über differenzierte Karrieremodelle entwickeln, um den Erfolg aus Unternehmenssicht zu multiplizieren (ja, auch das passiert nicht aus reiner Menschenliebe)
    • Durch Succession Planning für die Nachhaltigkeit des Erfolgs sorgen
    • Mittels Talent Scouting, Potential- und Performance-Assessments sowie Training für den Bestand an Mitarbeitern sorgen (Bestand ist kein schönes Wort, aber hier geht es um die kontinuierliche Pflege des wichtigsten Assets eines Unternehmens)
      .
  6. Es ist ein Henne-Ei-Problem und vermutlich muss Leadership Enablement parallel zu bislang genannten Punkten stattfinden. HR muss die Rolle als Befähiger der Führungskräfte einnehmen, in dem dafür gesorgt ist, dass es klare Vereinbarungen zu Führungsgrundsätzen, Werten und Grundannahmen gibt. Der Schlüssel zu jeder Veränderung liegt im Mittelmanagement und irgendjemand (= HR) muss dafür sorgen, dass es eine gemeinsame Wertebasis sowie das nötige Handwerkszeug für gute Führung gibt.Teil von Leadership Enablement ist aber auch, Managern zuverlässige Daten für mitarbeiterbezogene Entscheidungen zur Verfügung zu stellen und das immer noch weit verbreitete Bauchgefühl zu abzulösen – ein großes Entwicklungsfeld für HR, das in vielen Organisationen im Argen liegt.
    .
  7. Im letzten Schritt sollte HR sich darum kümmern, wie in der Organisation eigentlich zusammengearbeitet wird. Dass Kommunikation und Kollaboration entscheidend für die Unternehmens-Performance sind, ist wahrlich keine neue Erkenntnis – nur gut gelöst ist das in vielen Unternehmen immer noch nicht. HR ist als Querschnittsfunktion mit Schnittstellen in alle Unternehmensbereiche geradezu prädestiniert, über die Verantwortung für das Organisations-Design oder als Kümmerer für Unternehmenskultur und effektive Zusammenarbeit für eine Verbesserung zu sorgen – was allerdings auch bedeutet, nimmermüder Kämpfer zu sein und nicht zu schnell aufzugeben.

Solange HR die ersten drei Punkte nicht sicher beherrscht, werden HR-Manager Umsetzer bleiben und nicht aktiv gestalten. Und dabei laufen sie sogar noch Gefahr, die falschen Dinge umzusetzen, was dann letztlich zu der geringen Akzeptanz von HR in vielen Unternehmen führt. Dahinter steht der oft unausgesprochene Eindruck „Die bei HR verstehen uns einfach nicht“. Das dürfte auch der Grund sein, warum in vielen Organisationen Chief-HR-Rollen bevorzugt aus dem Business anstatt aus der HR-Organisation besetzt werden. Das muss aber nicht so bleiben.

Je nach Reifegrad der HR-Organisation kann eine Veränderung, HR wie beschrieben unternehmerischer zu machen, eine lange Reise sein. Der konsequente Weg entlang der 7 Schritte kann aber eine Expedition sein, die nach ganz oben führt – immer anstrengend, manchmal gefährlich und Widrigkeiten durch Wetterwechsel sind nicht auszuschließen. Aber mit dem befriedigenden Ergebnis, den „Platz am Tisch“ bekommen zu haben und dem erfüllenden Rückblick auf das, was man gemeinsam mit einem Team hat leisten können.

 

von Alexander Göttling – der Autor verantwortet bei Expedition 8 das Thema HR Management